Gesund ist nicht immer gesund - Krank ist nicht immer krank 

Alle Beschwerden, alle Leiden sind letztlich subjektive Wahrnehmungen. Aber gerade diese Wahrnehmung von Missständen im Körper ist von immenser Wichtigkeit und die Voraussetzung für deren Behebung oder Vermeidung. Die individuell empfundenen Leiden müssen daher immer und ausnahmslos ernst genommen und berücksichtigt werden. Ja wir müssen froh sein, wenn alle wichtigen Dysbalancen und Gesundheitseinbrüche gespürt und beachtet werden, auch wenn das mitunter recht hinderlich sein kann. Die Kunst ist in diesem Fall die richtige Bewertung der Probleme und das Erhalten einer Ausgeglichenheit und Lebensfreude.

Denn ständiges Jammern ist nicht nur für die Umwelt sondern auch für die eigenen Selbstheilungskräfte und den Lebensgenuss eine Beeinträchtigung. Viel lebensgefährlicher ist im Gegensatz dazu die Indolenz, also die Beschwerdefreiheit Sie verführt zur Vernachlässigung der Gesunderhaltung und lässt Risikofaktoren oft schwer erkennen.

Von der Vielzahl an menschlichen Verhaltensmustern können wir als Beispiel zwei Extreme darstellen, die immer wieder verkannt werden.

1.) der Indolente:

Er ist meist wohlgenährt, arbeitet Tag und Nacht, hat mehrere Ehrenämter, ist z.B. Präsident im Kegelclub, Betriebsrat, Bürgermeister, ist auf jeder Party zu finden, kann essen und trinken so viel er will (und er will viel), ist meist gut gelaunt, manchmal cholerisch aber immer wieder versöhnlich. Alle mögen ihn, alle bewundern seine Energie. Nur beim Sport hapert es. Ausdauersport kennt er nicht. Wenn schon, dann fühlt er sich eher dem Kraftsport hin gezogen.

Hausarzt hat er keinen, ja, Ärzte mag er eigentlich überhaupt nicht und Kuren sind aus seiner Sicht nur etwas für Hypochonder. Es fehlt ihm sowieso nichts und wenn es einmal wo zwickt, dann wird das mannhaft weggesteckt.

Im Großen und Ganzen ist er ein Pfundskerl und bewegt etwas in der trägen Masse.

Und plötzlich fällt er tot um. Wieso den der? Der war doch immer so gesund und so gut drauf!

Nein eben nicht. Es fehlte ihm nur der Leidensdruck. Er hatte kein Frühwarnsystem, keine Instanz in seinem Sensorium die ihm sagte, dass er ein Service benötigen würde oder etwas in seinem Leben zu Gunsten der Gesundheit ändern sollte. Trotz seines subjektiven Wohlbefindens waren alle Parameter des metabolischen Syndroms gegeben: Übergewicht, Bluthochdruck, Cholesterin und Harnsäure zu hoch, und womöglich meldete sich bereits eine beginnende Zuckerkrankheit.

Nur der Bedauernswerte bemerkte von all dem nichts oder wollte es einfach nicht wahrhaben.

Oft antworten diese Selbstignoranten auf entsprechende Warnungen mit dem ihnen eigenen Fatalismus: „Lieber gut gelebt und dafür kürzer. Damit falle ich wenigstens der Gesellschaft nicht zu lange als Pensionist zur Last.“

Wenn man diesen Pensionskassaschonern aber die Vision des Rollstuhls der Abhängigkeit von einem der sie füttern und womöglich wickeln muss vor Augen hält, dann bekommen sie Angst, Denn Abhängigkeit vertragen sie nicht, auch keine wohlwollende. Mit dieser Horrorvision, ermöglicht durch die moderne Notfallmedizin, kann man sie dann unter Umständen doch zur Gesundheitsvorsorge bewegen, auch wenn sie noch keine Beschwerden haben.

Doch leider muss man erkennen:
Der Indolente lebt im Durchschnitt beschwerdeärmer, also angenehmer aber dafür kürzer.

2.) der sogenannte Hypochonder:

Sogenannt deswegen, weil es in meinen Augen keinen echten Hypochonder gibt. Niemand leidet um des Leidens willen oder jammert freiwillig vor sich hin. Selbst wenn das Leid nur eingebildet erscheint, der Leidende leidet wirklich. Es tut ihm immer etwas weh, er fühlt sich oft schwach und überfordert. Dabei nimmt er ständig Rücksicht auf seine Gesundheit. Oft ist er Vegetarier, ja womöglich sogar Rohkostvegetarier.

In der Gesundheitsliteratur kennt er sich aus, Hausärzte hat er gleich mehrere, und keiner kann ihm wirklich sagen was er hat. In regelmäßigen Abständen wird er durch die Diagnosestraße der Universitätsklinik geschickt um dann zum x-ten mal die Auskunft zu bekommen: „Sie haben nichts, Sie sind gesund“.

Diese Auskunft der universitären Medizin grenzt an Arroganz. Wenn die Ärzte schon nichts Pathologisches finden, der Patient jedoch Beschwerden hat, sollten sie eher zugeben, dass sie nicht wissen, was ihm fehlt und vielleicht auch nicht wissen, was sie gegen sein Leid tun sollen. Wenn der Pseudohypochonder Pech hat, wird er auf die psychosomatische Abteilung überwiesen wo er u.U. medikamentös so gedämpft wird, bis er sich und seine Beschwerden nicht mehr realisiert.

Nach solch ergebnislosem Frust wendet sich der Leidende an den Alternativmediziner. Wenn dieser arrogant ist, verspricht er die totale Lösung des Rätsels mittels aller möglichen feinstofflichen und energetischen Messmethoden. Uns tatsächlich: mittels Elektroakupunktur nach Voll, Biotensor, Kinesiologie u.s.w. ermittelt er eine ganze Liste von Allergien, Fehlsteuerungen und Dysbalancen im Regelmechanismus des Körpers. So, und was dann? Vielleicht bekommt der Patient dann 50 verschiedene Injektionen in 1 Woche, strengste Diätvorschriften, teuere Präparate aus fernen Ländern oder er wird mit den Diagnosen im Regen sehen gelassen.

Was hat er nun wirklich, unser Patient? Ein hypersensibles Frühwarnsystem macht ihm das Leben schwer. Der Mensch ist ein kybernetisches System, das ständig das sensible Fließgleichgewicht, das wir Leben bzw. Gesundheit nennen, aufrecht erhält. Dieses komplexe Gleichgewicht gerät natürlich immer wieder ins Wanken. Und diese kleinen Ungereimtheiten werden von den genannten Meßmethoden sofort registriert, weit vor dem Ausbruch einer manifesten Erkrankung. Das wäre an sich nicht schlecht, würde es doch eine Regulierung im Krankheitsvorfeld ermöglichen.

Diese Regulierung kann der Körper normalerweise selbst bewerkstelligen. Wir müssen ihm nur die Möglichkeit bieten, seine Selbstregulationsmechanismen und somit Selbstregenerationskräfte wieder zu erlangen. Eine weitere Verunsicherung und „Krankmachung“ des Patienten ist da sicherlich kontraproduktiv.